15200 Risikomanagement gemäß DIN EN ISO 14971
Die EU-Medical Devices Regulation (MDR) fordert von Medizinprodukteherstellern ein Risikomanagementsystem, um die Sicherheit von Medizinprodukten für Patienten, Anwender und die Umwelt zu gewährleisten. Das Risikomanagementsystem muss eingerichtet, umgesetzt, dokumentiert, kontinuierlich gepflegt und aktualisiert werden.
Die Norm „DIN EN ISO 14971:2022-04 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte” definiert die wichtigsten Anforderungen und Schritte im Prozess des Risikomanagements für Medizinprodukte.
Dieser Beitrag bietet eine Interpretation der Anforderungen der Norm DIN EN ISO 14971:2022-04. Er orientiert sich in der Gliederung an der Gliederung der Norm. von: |
1 Einführung
Medizinprodukte haben den Zweck, gesundheitliche Zustände zu behandeln, zu vermeiden oder zu verbessern. Je komplexer unser Fortschritt wird, umso komplexer werden auch die Medizinprodukte. Mehr Möglichkeiten in der Medizin und dem Ingenieurswesen lassen immer weitere Verfahren zu. Mit steigender Komplexität wächst auch die Anzahl von Fehlerquellen und damit der möglichen Risiken. Komplexere Behandlungsmöglichkeiten an kritischen Organsystemen, wie dem zentralen Nervensystem oder dem Herzen, führen ebenfalls zu mehr Risiken. Gleichzeitig bietet die moderne Welt immer mehr Materialien und Prüfmethoden, die die Sicherheit von Medizinprodukten erhöhen können und Gefährdungssituationen reduzieren.
2 Warum Risikomanagement?
Die Komplexität neuartiger Behandlungsmöglichkeiten, die direkt aus dem Fortschritt der Technik resultiert, ist ein Fluch und ein Segen. Zudem ist der technische Fortschritt in der heutigen Zeit oft so rasant, dass es schwer ist, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ein systematischer Ansatz zur Identifizierung und Beherrschung von Risiken ist für den Hersteller daher unabdingbar.
Wirtschaftlichkeit
Das Interesse an einem sicheren Produkt kann dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln begründet werden. Allem voran steht selbstverständlich die Patientensicherheit. Auch wenn dies und die Tatsache, dass ein Medizinprodukt nach Möglichkeit keine neuen Risiken erzeugen sollte, Grund genug sein müssten, so steckt auch ein wirtschaftliches Interesse hinter dem Risikomanagement. Wenn der Hersteller potenzielle Gefährdungssituationen bereits in der frühen Entwicklung identifiziert, kann er mit entsprechenden Maßnahmen verhältnismäßig einfach und kostengünstig gegensteuern. Fallen diese Gefährdungssituationen erst in der späten Entwicklung auf, steigen die Kosten, da gegebenenfalls wichtige Schritte der Entwicklung wiederholt werden müssen. Werden Gefährdungen sogar erst im Markt entdeckt, steigen die Kosten noch einmal gewaltig.
Das Interesse an einem sicheren Produkt kann dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln begründet werden. Allem voran steht selbstverständlich die Patientensicherheit. Auch wenn dies und die Tatsache, dass ein Medizinprodukt nach Möglichkeit keine neuen Risiken erzeugen sollte, Grund genug sein müssten, so steckt auch ein wirtschaftliches Interesse hinter dem Risikomanagement. Wenn der Hersteller potenzielle Gefährdungssituationen bereits in der frühen Entwicklung identifiziert, kann er mit entsprechenden Maßnahmen verhältnismäßig einfach und kostengünstig gegensteuern. Fallen diese Gefährdungssituationen erst in der späten Entwicklung auf, steigen die Kosten, da gegebenenfalls wichtige Schritte der Entwicklung wiederholt werden müssen. Werden Gefährdungen sogar erst im Markt entdeckt, steigen die Kosten noch einmal gewaltig.
Grob nimmt man für diese Steigung an, dass die Kosten für eine Fehlerkorrektur bzw. die Beherrschung eines Risikos in jeder Phase des Produkts um den Faktor zehn steigen. Man spricht hier auch von der „rule of 10”. Hinzu kommt der Reputationsverlust, sollten schwerwiegende Gefährdungen im Markt auftreten. Die großen Skandale der Medizintechnikbranche sind zwar eher auf kriminelle Energie, statt auf mangelndes Risikomanagement zurückzuführen, jedoch möchte sicherlich kein Hersteller der erste bekannte Name aufgrund eines unbeachteten Risikos werden.
Weitere Stakeholder
Des Weiteren sind die Interessen von Gesundheitseinrichtungen und Behörden zu beachten. Krankenhäuser sind sehr darauf bedacht und auch angewiesen, Produkte mit möglichst geringem Risiko einzusetzen. Die Risikobeherrschungsmaßnahmen sollten auf den Krankenhausalltag zugeschnitten sein und die daraus resultierenden Gefährdungssituationen betrachten. Von besonderem Interesse ist ein sauberes Risikomanagement auch für Behörden und Zertifizierer.
Des Weiteren sind die Interessen von Gesundheitseinrichtungen und Behörden zu beachten. Krankenhäuser sind sehr darauf bedacht und auch angewiesen, Produkte mit möglichst geringem Risiko einzusetzen. Die Risikobeherrschungsmaßnahmen sollten auf den Krankenhausalltag zugeschnitten sein und die daraus resultierenden Gefährdungssituationen betrachten. Von besonderem Interesse ist ein sauberes Risikomanagement auch für Behörden und Zertifizierer.
Das Risikomanagement bietet die Grundlage für eine fundierte Prüfung des Produkts. Daher sollten Hersteller auf diesen iterativen Prozess ein besonderes Augenmerk legen.
Abb. 1: Interessengruppen für ein sauberes und konformes Risikomanagement
3 Die Phasen des Risikomanagements
Auf den folgenden Seiten werden die einzelnen Phasen des Risikomanagements gemäß der Norm DIN EN ISO 14971:2022-04 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte [1] (in der Folge benannt als DIN EN ISO 14971) aufgeschlüsselt. Die Gliederung erfolgt dabei anhand der definierten Phasen, die in Abbildung 2 dargestellt sind.
Abb. 2: Phasen des Risikomanagements ( [1] , Bild 1, S. 24)
3.1 Risikoanalyse
Den ersten Schritt im Prozess des Risikomanagements stellt die Risikoanalyse dar. Dabei ist die Aufgabe des Risikomanagementteams, das Medizinprodukt zu betrachten und Gefährdungen und Gefährdungssituationen zu identifizieren. In diesem Schritt geht es noch nicht um konkrete Lösungen für identifizierte Risiken.
„Risiko” und „Gefährdung”
Die Norm DIN EN ISO 14971 definiert den Begriff „Risikoanalyse” als „systematische Verwendung von verfügbaren Informationen zur Identifizierung von Gefährdungen und Einschätzung des Risikos”. „Risiko” ist wiederum definiert als die Kombination aus der Auftretenswahrscheinlichkeit und dem Schweregrad. Die „Gefährdung” versteht sich als „Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt”. Diese Verkettung der Begrifflichkeiten ist zunächst etwas schwer zu handhaben, verdeutlicht aber bereits die Denkweisen der Norm.
Die Norm DIN EN ISO 14971 definiert den Begriff „Risikoanalyse” als „systematische Verwendung von verfügbaren Informationen zur Identifizierung von Gefährdungen und Einschätzung des Risikos”. „Risiko” ist wiederum definiert als die Kombination aus der Auftretenswahrscheinlichkeit und dem Schweregrad. Die „Gefährdung” versteht sich als „Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen oder Schädigung von Gütern oder der Umwelt”. Diese Verkettung der Begrifflichkeiten ist zunächst etwas schwer zu handhaben, verdeutlicht aber bereits die Denkweisen der Norm.
Zweckbestimmung
Doch fangen wir vorne an. Zunächst muss die Zweckbestimmung des Produkts festgeschrieben werden. Sie enthält den medizinischen Zweck, die Indikation sowie Kontraindikation, die Patientenpopulation, geplante Anwender und den Anwendungsort sowie weitere Merkmale. Sie sollte bereits frühzeitig in der Produktentwicklung festgelegt werden und zum Zeitpunkt der ersten Risikoanalyse bereits formuliert sein.
Doch fangen wir vorne an. Zunächst muss die Zweckbestimmung des Produkts festgeschrieben werden. Sie enthält den medizinischen Zweck, die Indikation sowie Kontraindikation, die Patientenpopulation, geplante Anwender und den Anwendungsort sowie weitere Merkmale. Sie sollte bereits frühzeitig in der Produktentwicklung festgelegt werden und zum Zeitpunkt der ersten Risikoanalyse bereits formuliert sein.
Nützlicher Hinweis
Achten Sie darauf, dass die Zweckbestimmung in allen geführten Dokumenten identisch ist. Das ist besonders wichtig, wenn sich im Entwicklungsprozess (oder auch später) Änderungen in der Zweckbestimmung ergeben sollten.
Kritische Merkmale
Anhand der Zweckbestimmung kann der Hersteller nun die kritischen Merkmale des Produkts ermitteln. Hier geht es darum, die Merkmale, die für die klinische Sicherheit und Leistung notwendig sind, zu identifizieren. Um ein paar Beispiele zu bringen, wäre hier die emittierte Strahlung eines Röntgengeräts oder die Wärmeentwicklung bei einem aktiven Medizinprodukt denkbar.
Anhand der Zweckbestimmung kann der Hersteller nun die kritischen Merkmale des Produkts ermitteln. Hier geht es darum, die Merkmale, die für die klinische Sicherheit und Leistung notwendig sind, zu identifizieren. Um ein paar Beispiele zu bringen, wäre hier die emittierte Strahlung eines Röntgengeräts oder die Wärmeentwicklung bei einem aktiven Medizinprodukt denkbar.
Die Betrachtung kann sehr vielschichtig erfolgen. Die Technische Regel ISO/TR 24971 [2] enthält nützliche Tabellen und weiterführende Hinweise dazu, wie dieser Aspekt umgesetzt werden kann. Bei der Analyse ist es wichtig, die einzelnen Facetten des Produkts zu beachten. Im Folgenden sollen ein paar der möglichen und denkbaren Gefahrenquellen genannt und aufgeschlüsselt werden.
3.1.1 Energetische Gefährdungen
Betrachtet werden hier Gefahren aus „frei werdender Energie”. Was im ersten Moment vielleicht etwas dramatisch klingt, meint letztlich alles, was aus dem mechanischen oder aktiven Betrieb eines Medizinprodukts entstehen kann. Dies können unbeabsichtigte Gefahrenquellen sein, wie Kriechströme oder herunterfallende Teile. Weiter gedacht sind darunter auch die Wärmeentwicklung oder mögliche Gefahren aus beweglichen Teilen zu verstehen. Die dritte Stufe sind dann „gewollte” Risiken, die zur Funktion des Produkts gehören, wie beispielsweise die oben erwähnte freigesetzte Strahlung bei Röntgenapparaten oder stimulierenden Elektroden. Auch Vibrationen oder Schalldruck kann unter dieser Kategorie verstanden werden.
3.1.2 Biologische Gefährdungen
Unter biologischen Gefährdungen werden alle Einflüsse verstanden, die aus allergischen Reaktionen, Hautreizungen, Fertigungsrückständen oder Handhabungen in der Sterilisation entstehen und auf biologische Ursachen zurückzuführen sind. Gemeint sind dabei zum einen Mikroorganismen oder von solchen freigesetzte Stoffe und negative Effekte der chemischen Zusammensetzung der eingesetzten Werkstoffe.
3.1.3 Gefährdungen aus der Umwelt
Die Umweltbedingungen können erheblichen Einfluss auf die Leistung eines Medizinprodukts haben. Darunter versteht man Einflüsse aus der Temperatur, sowie elektromagnetische Störungen oder auch eine Verwendung außerhalb der vorgeschriebenen Parameter. Auch können Inkompatibilitäten oder Wechselwirkungen mit anderen Geräten gemeint sein.
3.1.4 Gefährdungen aus unzureichender Kennzeichnung
Hier wird die Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung betrachtet. Gefahren, die aus unzureichender Kennzeichnung resultieren, beispielsweise durch Abnutzung von Etiketten oder einer nicht beigefügten Gebrauchsanweisung.
Sicherlich bildet diese Liste nicht alle Teilbereiche der Risikoanalyse vollumfänglich ab. Sie soll lediglich einen Einblick geben und ein Gefühl für die wichtigen Kernthemen vermitteln. Am Ende entscheidet der Hersteller, aus welchen Teilbereichen Risiken erwachsen können. Dabei muss, kann und soll sich der Hersteller auf seine Erfahrungen sowie Marktdaten und eigene Analysen beziehen.