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05104 Innovationsschutz in Europa

Das europäische Einheitspatent

Seit der Einführung des europäischen Patents ist Europa bestrebt, einen einheitlichen, länderübergreifenden Patentschutz in der EU zu schaffen. Viele Hürden mussten überwunden, Bedenken ausgeräumt und Vorbereitungen getroffen werden.
Seit dem 1. Juni 2023 gibt es nun ein neues Patentsystem – das europäische Einheitspatent und das zugehörige Einheitliche Patentgericht sollen es Unternehmen erleichtern, kostengünstig Patente in Europa zu erlangen und diese schnell und wirkungsvoll gegen Plagiate auf dem europäischen Markt durchzusetzen.
Dieser Beitrag zeichnet eine Chronologie des Wegs zum einheitlichen Patentschutz und informiert über die Möglichkeiten, die das neue System für Innovationsschutz in Europa bietet.
von:

1 Chronologie

Das europäische Patent, wie es bereits seit 40 Jahren besteht, ist eine Erfolgsgeschichte: Weltweit sind europäische Patente als hochwertig anerkannt.
Kostenfaktor Patentschutz
Dennoch hat das bisherige System Nachteile, insbesondere was die Kosten anbelangt. Denn das zentrale Verfahren zur Erlangung eines Patents endet abrupt mit der Ausgabe der Patenturkunde. Dann müssen Patentinhaber entscheiden, in welchen Mitgliedsländern des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) das Patent Wirkung entfalten soll. In den gewählten Ländern werden jährliche Gebühren für die Aufrechterhaltung des Patents fällig. Auch die Rechtsdurchsetzung erfolgt national. Produktpiraten, die Plagiate meist nicht nur in einem Land, sondern innerhalb der gesamten EU vertreiben, müssen in jedem Staat einzeln verklagt werden, was erhebliche Kosten zur Folge haben kann.
Einheitliches Patent
Nach mehrjährigen Verhandlungen hat sich im Februar 2013 ein Großteil der EU-Staaten auf ein einheitliches Patent geeinigt, das auch über die Patenterteilung hinaus zentral beim Europäischen Patentamt (EPA) verwaltet wird und vor einem gemeinsamen Patentgericht, dem neu errichteten europäischen Einheitlichen Patentgericht (EPG), für mehrere Länder gleichzeitig durchgesetzt werden kann. Der Weg zu einem einheitlichen EU-Patentsystem wurde durch die neue Möglichkeit, EU-Verträge mittels einer verstärkten Zusammenarbeit einzelner EU-Staaten zu schließen, geebnet. Denn die Frage, in welche Sprachen ein erteiltes europäisches Einheitspatent zu übersetzen ist, war ein Streitpunkt. Spanien und ursprünglich auch Italien verlangten die Übersetzung des erteilten Patents auch in ihre Landessprache und waren mit der geltenden Sprachenregelung – Englisch, Deutsch, Französisch – nicht einverstanden. Daher hatten sich einige EU-Staaten auf ein Gesetzeswerk ohne Spanien und Italien verständigt. Während sich Spanien wegen der Sprachenregelung sogar mit Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen das Übereinkommen zum Einheitlichen Patentgericht (EPGÜ) wandte, lenkte Italien später ein und beteiligt sich nun trotz der Sprachenregelung an dem neuen Patentsystem.
Ratifizierung
Eine wesentliche Voraussetzung für das Inkrafttreten des EPGÜ ist die Ratifizierung des Übereinkommens in den EU-Mitgliedsstaaten. Es war vereinbart, dass insgesamt 13 Mitgliedsstaaten ihre Ratifizierungsurkunden zu hinterlegen haben. Darunter mussten jedenfalls diejenigen drei Mitgliedsstaaten sein, in denen es im Jahr vor der Unterzeichnung des EPÜ am 19. Februar 2013 die meisten europäischen Patente gab. Das waren Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Frankreich reagierte schnell und ratifizierte das EPGÜ schon im Frühjahr 2014.
Brexit
Die politischen Diskussionen im Vereinigten Königreich bezüglich des Austritts aus der Europäischen Union setzten dem neuen Patentsystem jedoch zu. Mit dem Ausgang des Brexit-Referendums 2016 stellten sich viele Fragen. Ein Kernargument der Befürworter des Brexit war, dass das Vereinigte Königreich sich nicht mehr den Entscheidungen des EuGH unterwerfen wollte. Das EPGÜ sah jedoch vor, dass der EuGH auch in Fragen zum europäischen Einheitspatent Entscheidungen treffen sollte. Und schließlich war die Frage offen, was mit dem geplanten Standort eines Teils des neuen Einheitlichen Patentgerichts in London geschehen sollte, wenn dies nach dem Brexit nicht mehr EU-Territorium ist. Klar ist, dass das Vereinigte Königreich als Nicht-EU-Staat nicht mehr am neuen Patentsystem teilnehmen kann. Um das Übereinkommen insgesamt jedoch nicht zu gefährden, hat das Vereinigte Königreich das EPGÜ im April 2018, d. h. noch vor dem endgültigen Ausscheiden aus der EU, ratifiziert.
Verfassungsbeschwerde
Bereits im Frühjahr 2017 passierte die Gesetzgebung zur Ratifizierung des EPGÜ den Bundestag und den Bundesrat. Kurz vor der Unterzeichnung der Ratifizierungs-Gesetzgebung in Deutschland wurde der Bundespräsident jedoch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gebeten, das Gesetz nicht auszufertigen, weil zwischenzeitlich eine Verfassungsbeschwerde dagegen eingegangen war.
Ratifizierungsgesetz nichtig
Die Verfassungsbeschwerde rügte, dass das Gesetz nicht mit einer qualifizierten Mehrheit im Bundestag verabschiedet wurde, was das Bundesverfassungsgericht bestätigte. Im Ergebnis musste das Ratifizierungsgesetz also nochmals durch den Bundestag, den Bundesrat und anschließend vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden. Es dauerte bis Februar 2023, bis diese Schritte abgeschlossen waren und Deutschland als letztes Glied zum Inkrafttreten des EPGÜ seine Ratifizierungsurkunde hinterlegt hatte. Damit startete die Übergangsfrist von vier Monaten, so dass das neue EU-Patentsystem am 1. Juni 2023 in Kraft treten konnte.

2 Viele Wege zum Patentschutz in Europa

Ergänzung statt Ersatz
Das Einheitspatentsystem ersetzt die bisherigen Möglichkeiten für Patentschutz in Europa zunächst nicht, sondern ergänzt diese. Das bisher bekannte europäische Patent, das nach der Erteilung in einzelne nationale Teile zerfällt, bleibt zunächst bestehen. Es ist auch weiterhin möglich, Patentschutz national zu beantragen.
Übergangszeitraum
Das klassische europäische Patentsystem bleibt zunächst für einen Übergangszeitraum von mindestens sieben Jahren ab Einführung des neuen Systems bestehen, wobei eine Verlängerung des Übergangszeitraums möglich ist. Abhängig soll diese Zweigleisigkeit von der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger maschineller Übersetzungen sein. Aufgrund der Sprachenvielfalt in Europa hat man sich darauf geeinigt, das klassische europäische Patentsystem mit seiner Sprachenregelung (einige Länder verlangen eine Übersetzung erteilter europäischer Patente in ihre Landessprache) beizubehalten, bis eine maschinelle Übersetzung verfügbar ist, die den hohen Anforderungen von Patentübersetzungen gerecht wird. Die Qualität der Übersetzung kann schließlich darüber entscheidend sein, ob eine Patentverletzung am Ende des Tages effektiv rechtlich sanktioniert werden kann.

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