5 Die Technische Dokumentation in der Haftungsabwehr

Mit den bisherigen Ausführungen haben Sie vermittelt bekommen, welche zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten Sie bei der Erstellung der Technischen Dokumentation einhalten müssen. Abschließend noch einige Anmerkungen zur Rolle der gesamten Technischen Dokumentation bei der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr von Haftungsansprüchen gegen Ihr Unternehmen.
Nachweis eines Entwicklungsfehlers
Wie bereits erläutert, ist die stringente und umfassende Produktdokumentation unerlässlich, um bei einem Designproblem gegebenenfalls den Einwand eines Entwicklungsfehlers erheben zu können: Der Hersteller muss nachweisen, dass das Designproblem nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens dieses Produkts nicht erkannt werden konnte.
Künftig erleichterter Zugang des Geschädigten zur Technischen Dokumentation
Anders als bei der Haftung für Arzneimittel hat der Geschädigte grundsätzlich keinen Anspruch auf Vorlage der Technischen Dokumentation oder Auskunft über deren Inhalt. Es gilt der Grundsatz, dass der Anspruchsteller die für ihn günstigen Tatbestandsmerkmale auch voll beweisen muss. Unter Umständen können aber Behauptungen des Klägers als wahr unterstellt werden, wenn der Hersteller die nur ihm verfügbaren Informationen nicht preisgibt. In dieser Hinsicht bringen aber MDR und IVDR von regulatorischer Seite möglicherweise einschneidende Änderungen. Nach Art. 10 Abs. 14 Unterabs. 3 MDR bzw. Art. 10 Abs. 13 Unterabs. 3 IVDR kann der geschädigte Patient, aber auch dessen Krankenversicherer, einen erleichterten, behördlich unterstützten Zugang zur Technischen Dokumentation und allen anderen Informationen und Unterlagen, die für den Nachweis der Produktkonformität erforderlich sind, nutzen. Wenn nämlich eine zuständige Behörde (die auch in einem anderen Mitgliedstaat der Union sitzen kann) der Auffassung ist oder Grund zu der Annahme hat, dass ein Produkt Schaden verursacht hat, so erleichtert die Behörde dem Geschädigten, dessen Krankenversicherungsgesellschaft oder sonstigen betroffenen Dritten auf deren Ersuchen hin die Aushändigung der genannten Informationen und Unterlagen. Wie Kläger und zuständige Behörden mit diesem erleichterten Dokumentenzugang europaweit im Einzelnen umgehen werden, muss sich nach Geltungsbeginn der MDR/IVDR zeigen. Allerdings ist klar, dass die Bedeutung der Technischen Dokumentation für den Nachweis der Konformität (oder, aus Klägersicht, für den Nachweis von Produktfehlern) nochmals deutlich zunehmen wird.
Strafrechtliche Ermittlungen
Bei Fällen, in denen der Anfangsverdacht einer fahrlässigen Körperverletzung oder gar einer fahrlässigen Tötung im Raum steht, ist es indes durchaus möglich, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung der Geschäftsräume anordnet und in diesem Zuge die Technischen Dokumentationen beschlagnahmt. Über den Umweg eines Akteneinsichtsgesuchs kann der Geschädigte auch im Zivilprozess so an Erkenntnisse aus der Technischen Dokumentation gelangen.
Aufbewahrungsfristen
Noch ein Wort zu möglichen Aufbewahrungsfristen. Zivilrechtlich besteht keine explizite Pflicht zur Aufbewahrung der Technischen Dokumentation. Regulatorisch bestehen für die Technische Dokumentation künftig Aufbewahrungsfristen von mindestens 10 Jahren bei IVD und Medizinprodukten und mindestens 15 Jahre bei implantierbaren Medizinprodukten (Art. 10 Abs. 8 MDR bzw. Art. 10 Abs. 7 IVDR). Der Grund, warum Sie sich über längere als die regulatorisch vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen Gedanken machen sollten, liegt wiederum in der möglichen Beweismittelfunktion sämtlicher Dokumente. Sie müssen auch für Haftungsfälle gewappnet sein, die erst nach vielen Jahren, bisweilen Jahrzehnten, noch gegen Sie geltend gemacht werden können. Neben dem gewöhnlichen Produktlebenszyklus (wie lange kann das jeweilige Produkt ein mögliches Risiko darstellen?) kann man sich an den anwendbaren Ausschluss- und Verjährungsvorschriften drohender Haftungsansprüche orientieren. Danach gilt, dass Ansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz 10 Jahre nach Inverkehrbringen des konkreten Produkts erlöschen. Allerdings können daneben bestehende Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) über die gesamte Lebensdauer des Produkts und damit bei langlebigen Medizinprodukten über die Frist von 10 Jahren hinaus drohen: Die regelmäßige 3-jährige Verjährungsfrist zum Ende des Jahres, in dem das Schadensereignis eingetreten ist, beginnt überhaupt erst mit dem Schadensereignis zu laufen.